Reiten und das Gerittenwerden ist weit mehr als nur das Erlernen technischer Fertigkeiten oder das Trainieren von körperlichen Fähigkeiten. Es geht um die tatsächliche Verbindung zwischen Reiter:in und Pferd, die über bloße Mechanik hinausgeht.
In diesem Artikel möchte ich die Bedeutung der Psychomotorik in der Ausbildung von Mensch und Pferd näher beleuchten und aufzeigen, warum die individuelle Entwicklung im Vordergrund stehen sollte.
Häufig wird versucht, die Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Pferd durch starre Methoden und Anleitungen zu festigen. Doch wahre Harmonie entsteht nicht durch Gebrauchsanweisungen, sondern durch kontinuierliche Entwicklung und Verstehen beider Seiten.
Begriffserklärung: Was bedeutet Psychomotorik
Der Begriff „Psychomotorik“ hat seinen Ursprung in der Medizin, wurde jedoch zunächst in die Pädagogik übertragen. Die Wurzeln der deutschen Psychomotorik liegen in den Ideen von Dr. Ernst Kipphard, einem Sportlehrer, der in den 1950er Jahren die positiven Auswirkungen seiner Bewegungsangebote auf die emotionale Entwicklung von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten beobachtete.
Psychomotorik: Wortherkunft
Das Wort „Psyche“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Seele“ bzw. „Seelenleben“. Das Wort „Motorik“, abgeleitet vom Lateinischen „movere“ (= bewegen), wird als Oberbegriff für „menschliche Bewegung“ verwendet. Die Zusammenfügung zu einem Begriff verweist darauf, dass der Mensch als Einheit von Leib und Seele, von Körper und Geist betrachtet wird. Dabei sind Fühlen, Denken und Handeln untrennbar miteinander verbunden (vgl. Renate Zimmer 2012).
Psychomotorik – ein ganzheitlicher Ansatz
Die Psychomotorik hat sich zu einem wichtigen pädagogischen und therapeutischen Ansatz entwickelt. Sie geht davon aus, dass Körper- und Bewegungserfahrungen eine wesentliche Voraussetzung für die individuelle Entwicklung darstellen.
Sie greift unter anderem die angeborenen koordinativen Grundeigenschaften wie zum Beispiel Gleichgewichtsfähigkeit, Rhythmusfähigkeit, muskuläre Unterscheidungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und räumliche Orientierungsfähigkeit auf und baut diese im Rahmen der jeweils individuellen Möglichkeiten aus.
In vielen Bereichen ist sie mittlerweile von Bedeutung. Leider hat sich dieses Konzept in der Reiterei bislang nicht in dem Maße etabliert, wie ich es mir persönlich wünsche.
Die Herausforderungen des motorischen Lernens
Im Laufe meines Unterrichts mit Erwachsenen bemerkte ich immer wieder, dass ihnen neues Lernen oftmals schwerer fällt als Kindern. Alte Muster hängen fest und sind teilweise schwieriger zu durchbrechen. Auch wird oft das Lernen durch bestimmte Emotionen wie Unsicherheit, falschen Erwartungen, Glaubenssätzen oder Angst beim Menschen und/oder Pferd stark beeinträchtigt.
Auch bei der Pferdeausbildung merkte ich früh, dass das bloße Training des Körpers oft weder für das Pferd noch für mich erfüllend war. Pferde, die auf Kopfdruck einfach „nur“ funktionieren, mir aber nicht ihr „Wesen“ geben/schenken, möchte ich nicht reiten und ausbilden. Mir ist es wichtig, jedes Pferd seinem Naturell entsprechend zu fördern und mit der individuellen Persönlichkeit zu interagieren, sodass das Pferd als Persönlichkeit mit mir interagiert.
„Eine gute Reitweise orientiert sich für mich nicht an Schema F. Sie hängt davon ab, ob wir als Reiter bereit sind, an uns selbst zu arbeiten und uns positiv und wertschätzend auf ein Pferd einzulassen.“
Auf der Suche nach einer Lösung der damit verbundenen Probleme beim Reiten und Unterrichten stieß ich 2002 auf die Psychomotorik. Schon im Laufe meiner Trainerinnentätigkeit konnte ich beobachten, dass sich die Einstellung und Motivation der Pferde verändert, sobald sie erkennen, dass das Training ihnen einen direkten sowie persönlichen Nutzen bringt. Sie beginnen, das Training als Unterstützung zu verstehen, was zu nachhaltigen Ergebnissen führt. Dabei nehmen sie nicht nur neue Bewegungsmuster auf, sondern integrieren diese in ihren Alltag. Dieses Zusammenspiel von Körper und Geist wird in der Psychomotorik thematisiert und zeigt sich sowohl beim Menschen als auch beim Pferd.
Die Rolle der Psychomotorik im Pferdetraining
Psychomotorik als pädagogisch-therapeutisches Konzept wurde ursprünglich für die Arbeit mit Kindern entwickelt, hat aber meines Erachtens auch im Reitsport eine wichtige Bedeutung.
Wie eingangs erwähnt, betrachtet die Psychomotorik den Menschen als eine Einheit aus Körper, Geist und Seele und geht davon aus, dass Bewegungen Ausdruck der gesamten Persönlichkeit sind. Auch Pferde verfügen über eine ausgeprägte Bewegungs- und soziale Intelligenz. Sie erleben das Training nicht isoliert, sondern als Teil ihrer gesamten körperlichen und emotionalen Entwicklung.
In der psychomotorischen Arbeit geht es nicht nur darum, das Pferd körperlich zu fördern, sondern auch seine psychische und emotionale Entwicklung zu unterstützen.
Dabei wird das Pferd nicht einfach als Sportgerät oder als hilfloses Geschöpf betrachtet, sondern als lebendiges Wesen, das über individuelle Grenzen und Bedürfnisse verfügt. Der Mensch sollte lernen, diese Bedürfnisse zu erkennen und das Training entsprechend anzupassen.
Bewegungsmuster und emotionale Faktoren im gemeinsamen Training
Menschen und Pferde sind Gewohnheitstiere. Viele Bewegungen laufen unbewusst ab, unabhängig davon, ob sie korrekt oder ineffizient sind. Beim gemeinsamen Training bedeutet dies, dass sowohl der Mensch als auch das Pferd seine Bewegungen ständig reflektieren und anpassen sollten, um harmonisch zusammenzuarbeiten.
Daher bedeutet „Feines Reiten“ für mich nicht nur, bestimmte Techniken zu erlernen, sondern auch ein Einfühlen in das Pferd, die Situation und sich selbst.
Die Frage ist nicht nur, wann ich wie auf das Pferd einwirken muss, um die gewünschte Reaktion zu erzielen. Sondern auch, ob ich selbst in der richtigen geistigen und körperlichen Verfassung bin. Diese Reflexion und Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper und dem des Pferdes sind entscheidend, um eine echte Partnerschaft zu entwickeln.
Doch genau hier liegt oft die Herausforderung: Die eigenen Emotionen und die des Pferdes können den Lernprozess blockieren. Besonders negative Erinnerungen, falsche Erwartungen oder Unsicherheiten, die im Körpergedächtnis gespeichert sind, erschweren den Fortschritt.
Physiologisch gut zu reiten und ein Pferd auszubilden, um sich gemeinsam in Balance zu bewegen, ist ein wünschenswertes, hohes Ziel.
Ein Ziel, das oft mit einigen Herausforderungen verbunden und schwer zu erreichen ist. Dennoch finde ich es wichtig, diesen Weg zu gehen. Mit Respekt und Wertschätzung – ohne uns oder das Pferd zu überfordern.
Reittraining: Der Weg ist das Ziel
Wir sollten uns den einzelnen Aspekten stellen, sie realistisch einschätzen und Schritt für Schritt angehen. So vermeiden wir Enttäuschungen, wenn nicht alles sofort klappt und können uns über jeden Fortschritt freuen – sei es beim Pferd, bei uns selbst oder bei uns beiden zusammen.
Im Training mit dem Pferd bedeutet das:
- Der Lernprozess sollte immer die aktuellen Bedürfnisse und Entwicklungen des Menschen und des Pferdes berücksichtigen.
Reiten und das Gerittenwerden wird dann zu einem gemeinsamen Erleben und Lösen von Aufgaben – auf Beziehungs- und Bewegungsebene.
Bei Pferd und Mensch ist eine enge Verbindung von Lernen, Koordination, Körperwahrnehmung, Gefühlen, Wissen und Erinnerungen vorhanden. Sie macht das gemeinsame Lösen von Aufgaben zu einer anspruchsvollen, aber zugleich bereichernden Herausforderung.
Ziel ist es, dem Pferd eine sichere Beziehung zu bieten, die sowohl emotionale, soziale als auch körperliche Komponenten umfasst.
Neben der Freude am Tun sollte das Pferd spürbar in seinen individuellen Möglichkeiten gefördert werden. Man gibt dem Pferd die Gelegenheit, zu lernen und sich im Rahmen seiner körperlichen Möglichkeiten auf eine neue Weise zu bewegen.
Die Rolle des Menschen im Reittraining
Für den Pferdemenschen ist es essenziell, ein hohes Maß an Körperbewusstsein und -kontrolle zu entwickeln. Dies umfasst:
- Gleichgewicht: Ein ausgeprägtes Gleichgewicht ist die Grundlage für eine stabile und sichere Position am Boden und im Sattel.
- Koordination: Die Fähigkeit, verschiedene Körperteile unabhängig voneinander zu bewegen, ist entscheidend für eine feine Hilfengebung.
- Körperspannung und -entspannung: Reiterin und Reiter müssen lernen, ihre Muskulatur gezielt anzuspannen und zu entspannen, um dem Pferd klare Signale zu geben.
- Mentale Präsenz: Ein fokussierter und ruhiger Geist unterstützt die Kommunikation mit dem Pferd.
Hinzukommen:
- Ein Gefühl für eine angemessenes Training: Wird das Pferd im Training über- oder unterfordert, kann die eigentlich unterstützend angedachte Hilfe schnell zur Belastung werden.
- Fachliche Kompetenz: Es ist wichtig, dass der Mensch sich intensiv mit Trainingslehre, Reitlehre, Biomechanik und Psychomotorik von Pferd und Mensch auseinandersetzt – oder sich fachkundige Unterstützung holt. Nur so können Reiterin und Reiter lernen, pferdegerecht einzuwirken und das Pferd systematisch zu fördern.
Der Bewegungsdialog: Eine Sprache, die Pferde verstehen
Pferde drücken ihre Befindlichkeit direkt durch ihre Bewegung und Körpersprache aus. In ihrer natürlichen Umgebung nutzen sie soziale Interaktionen, um ihre physischen Fähigkeiten zu trainieren und soziale Bindungen zu stärken.
Diese natürlichen Verhaltensweisen können wir uns im Training zunutze machen, indem wir als menschliche Partner in einen Bewegungsdialog treten, der dem Pferd vertraut ist und als sinnvoll empfunden wird. Es geht darum, als Gegenüber zu agieren, das die Sprache des Pferdes versteht und respektiert.
Psychomotorik spielt in der Mensch-Tier-Kommunikation eine zentrale Rolle
Sie beschreibt die enge Verknüpfung von körperlichen Bewegungen und psychischen Prozessen und zeigt auf, wie diese Wechselwirkung nicht nur das körperliche, sondern auch das emotionale und mentale Wohlbefinden fördert.
Im Training bedeutet das, dass der Mensch und das Pferd in ständiger Interaktion stehen. Diese Beziehung ist keine Einbahnstraße und sollte kein Monolog sein, sondern ein ständiges Geben und Nehmen von Signalen, die Mensch und Tier miteinander verbinden.
Welche Bedeutung die Psychomotorik für Reiter und Pferd hat
Der ganzheitliche Ansatz der Psychomotorik fördert nicht nur die körperliche, sondern auch die emotionale und mentale Entwicklung von Mensch und Pferd.
Das Spiel mit der Bewegung und das Lernen durch Bewegung, einschließlich der damit verbundenen körperlichen und geistigen Aspekte, spielen ebenfalls eine Rolle im gemeinsamen Training und in der Interaktion zwischen Pferd und Mensch als sozialen Partner.
Psychomotorische Angebote basieren auf einer wertschätzenden Haltung gegenüber der Wahrnehmung und den Erfahrungen des Individuums, anstatt sich ausschließlich auf festgelegte Abläufe und Methoden zu stützen.
Sie nutzen den engen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Erleben und Handeln, um Lernprozesse zu fördern – was auch bei der Ausbildung eines Pferdes von großer Bedeutung ist.
Die Bedeutung der Beziehung – ein wertschätzender Ansatz
Eine tiefe Beziehung zwischen Reiter:in und Pferd basiert auf Vertrauen, Respekt und gegenseitigem Verständnis.
Sie entsteht durch das Zusammenspiel von Gefühl, Wissen und der Umsetzung von Bewegungslernen und Kommunikation.
Diese Beziehung zu stärken, ist von grundlegender Bedeutung für den gemeinsamen Erfolg und das emotionale Wohlbefinden beider Seiten. Hierbei geht es nicht darum, standardisierte Übungen abzuarbeiten, sondern um das Einfühlen in den Bewegungsdialog und das Erkennen der individuellen Bedürfnisse und Möglichkeiten des Menschen und des Pferdes.
Wichtig ist, dass der Mensch dem Pferd klar und spürbar zeigt, wenn etwas gelungen ist. So wie wir uns alle darüber freuen, wenn unser Trainerin oder Lehrer unsere Anstrengung wirklich wertschätzt und uns dies durch Worte, Mimik oder Gestik mitteilt, so freut sich auch das Pferd. Es fühlt: „Ich sehe dich und dein Bemühen – danke, mach weiter so.“ Das motiviert und weckt den Ansporn, noch mehr zu geben.
Hierfür sollte der Mensch bereit sein, an sich selbst zu arbeiten. Nur so kann er dem Pferd die nötige Unterstützung bieten, die es benötigt, um sich nicht nur körperlich, sondern auch emotional weiterzuentwickeln. Durch diese bewusste Herangehensweise kann der Mensch eine harmonische und nachhaltige Verbindung zum Pferd aufbauen, in der sich beide wohlfühlen und weiterentwickeln können.
Fazit: Psychomotorik als Schlüssel zur harmonischen Partnerschaft
Die Beziehung zwischen dem Menschen und sein Pferd sollte für eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Vertrauen, Respekt und gegenseitigem Verständnis geprägt sein. Die Psychomotorik bietet hierfür einen wertvollen Ansatz, da sie die enge Verbindung zwischen körperlichen Bewegungen und psychischen Prozessen betont und unterstützt. Letzlich sollte die Freude an der gemeinsamen Bewegung und die Stärkung der Beziehung das zentrale Ziel unserer Bemühungen sein, sodass der Weg des Lernens als ebenso wertvoll empfunden wird wie die erreichten Ergebnisse.
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