Warum motorisches Lernen oft so schwerfällt – bei Mensch und Pferd

Als Erwachsene lernen wir längst nicht mehr so spielerisch wie Kinder. Eingefahrene Muster, festgefahrene Bewegungsabläufe und emotionale Blockaden machen es uns schwer, Neues zu verinnerlichen. Ängste, Unsicherheiten, überhöhte Erwartungen oder alte Glaubenssätze – all das beeinflusst unser Lernverhalten negativ.

Und nicht nur bei uns Menschen: Auch Pferde haben Erwartungen, Ängste und falsche Bewegungsmuster. Zudem spüren sie emotionale Spannungen, reagieren sensibel auf Erwartungen und können durch unangemessenes Training in ihrer Entwicklung gehemmt werden. Auf diese Weise können Mensch und Pferd in einem Teufelskreis aus Frustration, Motivationslosigkeit und gegenseitigem Unverständnis steckenbleiben.

In der Ausbildung von Pferden ist es daher längst nicht ausreichend, nur den Körper zu trainieren. Ein Pferd, das lediglich auf Kommando funktioniert, ohne sich einzubringen, bleibt seelenlos in der Bewegung. Ich persönlich möchte Pferde reiten, die mir nicht nur ihren Körper zur Verfügung stellen, sondern mir auch ihr Wesen schenken. Für mich geht es um mehr: Ich möchte jedes Pferd ganzheitlich und seinem individuellen Naturell entsprechend fördern. Denn nur wenn ich auf die Persönlichkeit meines Pferdes eingehe, kann auch das Pferd als Persönlichkeit mit mir in Verbindung treten.

Reiten ohne Schema F – eine Einladung zur inneren Arbeit

Eine gute Reitweise folgt keinem starren Lehrbuch. Sie lebt vom Dialog zwischen zwei Lebewesen – vom gegenseitigen Verstehen, Respekt und der Bereitschaft zur inneren Entwicklung. Die zentrale Frage ist: Bin ich als Reiter bereit, an mir selbst zu arbeiten und mich positiv und wertschätzend auf mein Pferd einzulassen?

Auf meiner eigenen Suche nach Antworten auf die Herausforderungen des Reitunterrichts stieß ich im Jahr 2002 auf die Psychomotorik. Schon damals bemerkte ich: Sobald Pferde erkennen, dass das Training ihnen tatsächlich etwas bringt, verändert sich ihre Einstellung grundlegend. Sie werden wacher, interessierter, motivierter. Sie beginnen, neue Bewegungsmuster nicht nur zu üben, sondern wirklich zu verinnerlichen. Die Pferde bemerken, dass das Training ihnen einen persönlichen Nutzen bringt und beginnen es zu genießen. Und genau hier setzt die Psychomotorik an – an der Verbindung von Körper und Geist, von Bewegung und Gefühl, bei Mensch und Pferd.

Was ist eigentlich Psychomotorik?

Der Begriff „Psychomotorik“ stammt ursprünglich aus der Medizin, wurde jedoch schnell in die Pädagogik übernommen – insbesondere durch die Arbeit von Dr. Ernst Kiphard in den 1950er Jahren. Kiphard war Sportlehrer und entdeckte durch praktische Arbeit mit Kindern, dass gezielte Bewegung positive Auswirkungen auf deren emotionale und soziale Entwicklung hatte.

Das Wort selbst setzt sich aus zwei Wurzeln zusammen:

  • Psyche (griechisch: die Seele)
  • Motorik (lateinisch movere = bewegen)

Psychomotorik bedeutet also mehr als nur körperliches Training – es ist die ganzheitliche Verbindung von Fühlen, Denken und Handeln. Der Mensch wird als Einheit betrachtet, in der sich seelische und körperliche Prozesse gegenseitig beeinflussen. (Vgl. Renate Zimmer, 2012)

Psychomotorik im Pferdetraining – ein ganzheitlicher Blick auf Entwicklung

Psychomotorik ist heute ein anerkannter pädagogischer und therapeutischer Ansatz. Sie geht davon aus, dass Bewegungserfahrungen eine wesentliche Grundlage für die persönliche Entwicklung darstellen. Sie fördert unter anderem:

  • Gleichgewichtssinn
  • Rhythmusgefühl
  • Reaktionsfähigkeit
  • Muskelgefühl (muskuläre Differenzierung)
  • räumliche Orientierung

Und das jeweils im Rahmen der individuellen Möglichkeiten. In vielen pädagogischen und therapeutischen Bereichen ist Psychomotorik längst etabliert – in der Reiterei jedoch bisher nur vereinzelt angekommen. Dabei birgt sie genau das Potenzial, das im klassischen Pferdetraining oft fehlt: einen Zugang zur emotionalen Welt des Pferdes.

Psychomotorik als Zugang zu innerem Erleben und Persönlichkeitsentwicklung

Denn Psychomotorik ist weit mehr als das Training koordinativer Fähigkeiten.
Sie ist ein ganzheitlich orientierter Ansatz, der über Wahrnehmungs- und Bewegungsprozesse zur Bewusstwerdung führt – beim Menschen wie beim Pferd. Ziel ist es, Handlungskompetenz zu fördern, individuelle Ressourcen zu nutzen und Entwicklungsprozesse gezielt zu begleiten. Denn:
Wahrnehmung und Bewegung sind der Motor jeglicher Entwicklung.

Im Mittelpunkt psychomotorischer Arbeit steht die prozessorientierte Förderung der Persönlichkeitsentwicklung – oder anders gesagt: die bewusste Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungsaufgaben und inneren Themen. Bewegung wird hier nicht nur als Technik verstanden, sondern als Ausdruck innerer Zustände – als Spiegel emotionaler Geschichte und gegenwärtiger Befindlichkeit.

Dieser Ansatz sieht im Bewegungsverhalten eines Menschen – oder Pferdes – ein individuelles Ausdrucksmittel. Es geht darum, Räume zu schaffen, in denen Selbstwahrnehmung, Beziehungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit entstehen können.

Das gilt besonders für die emotionale und soziale Dimension des Trainings: Denn behandelt werden letztlich nicht nur Bewegungsabläufe, sondern die „zwischenmenschlichen“ Beziehungen, in denen diese Bewegung stattfindet.

Dabei spielt die Beziehung des Menschen zu sich selbst und zu seinem Pferd eine zentrale Rolle:
Sie will gestärkt, gefördert oder – wenn nötig – auch wiederhergestellt werden.
Sei es durch das Wiederentdecken vergessener Fähigkeiten, durch das Erweitern von Möglichkeiten oder durch das Nachholen überfälliger Lernprozesse.

Psychomotorik im Pferdetraining – warum sie so wertvoll ist

Auch wenn die Psychomotorik ursprünglich für die Arbeit mit Kindern entwickelt wurde, sehe ich darin einen unschätzbaren Wert für die Reitausbildung. Wie bei uns Menschen sind auch bei Pferden Körper und Seele untrennbar miteinander verbunden. Ihre Bewegungen sind Ausdruck ihrer Persönlichkeit – ihrer Stimmung, ihres inneren Zustands. Pferde erleben Training nicht als isolierten Reiz, sondern als Teil ihrer gesamten körperlichen und emotionalen Entwicklung.

In der psychomotorischen Arbeit mit Pferden geht es daher nicht nur darum, Muskeln zu stärken oder Bewegungen zu optimieren. Es geht darum, das Pferd als Ganzes zu fördern – auch psychisch und emotional. Das bedeutet: Wir müssen unsere Pferde als fühlende, denkende Wesen wahrnehmen und nicht nur als Sportgeräte oder hilflose Geschöpfe betrachten. Als Individuen mit eigenen Bedürfnissen, Grenzen und Potenzialen. Nur wenn wir bereit sind, darauf einzugehen, entsteht ein echtes Miteinander.

Psychomotorische Angebote basieren auf einer wertschätzenden Haltung gegenüber der Wahrnehmung und den Erfahrungen des Individuums, anstatt sich ausschließlich auf festgelegte Abläufe und Methoden zu stützen. Sie nutzen den engen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung, Erleben und Handeln, um Lernprozesse zu fördern – was auch bei der Ausbildung von Pferden von großer Bedeutung ist.

Zuhören lernen: Der erste Schritt zu echter Verbindung

Psychomotorik in der Reiterei beginnt für mich mit einer inneren Haltung: dem Wunsch, wirklich hinzuhören – mit den Augen, den Händen, dem Herzen. Sie fordert uns auf, präsent zu sein, achtsam zu beobachten und uns selbst immer wieder zu hinterfragen. Denn wahres Lernen geschieht meiner Meinung nach nicht nur auf körperlicher Ebene – es ist ein Zusammenspiel von Kopf, Herz und Bewegung.


Fortsetzung folgt…
Im nächsten Teil dieser Reihe liest du von Bewegungsmustern und emotionalen Faktoren im gemeinsamen Lernen.

Du hast Interesse, aktiv an deiner eigenen Entwicklung zu arbeiten, um deinem Pferd die nötige Unterstützung zu bieten, die es für seine persönliche Entfaltung braucht?

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Deine Petra

Autorin: Petra Schöner

Hallo ich bin Petra, ich habe mich als Herzblut-Ausbilderin von Pferd und Reiter dem ganzheitlichen, gymnastischen Training und dem harmonischen Zusammenspiel beider mit Gefühl und (Pferde-) Verstand verschrieben. Durch meine langjährigen Erfahrungen als Trainerin, Lehrerin und meine vielseitigen Ausbildungen ist mir mehr und mehr bewusst geworden, dass sich eine gute Reitweise nicht in ein Schema pressen lässt. So sind mein Unterricht und mein Training nicht auf eine spezielle Reitweise beschränkt. Vielmehr habe ich mich einer Ausbildung verschrieben, die jedem einzelnen Pferd gerecht wird. Gerne unterstütze ich dich auf deinem Weg zu einem bewussteren, vielfältigen und ganzheitlichen Umgang mit deinem Pferd. Hier erfährst du mehr über mich.